Zehenstadel - Historischer Hintergrund

Der Neubau des Zehentstadels fiel in die Jahre unmittelbar vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648), welche allerorten von massiven religiösen und politischen Spannungen geprägt waren und von daher eigentlich nicht unbedingt zu größeren Investitionen einluden. Der Blick auf den historischen Kontext lässt jedoch die Motive erahnen, die Abt Johannes Stadler dazu veranlasst haben mögen, zwischen 1615 und 1617 neben dem Meierhof seines Klosters in Hemau einen neuen Getreidekasten errichten zu lassen.

Die Stadt Hemau gehörte seinerzeit zum Herzogtum Pfalz-Neuburg, wo im Jahre 1542/43 auf landesherrliche Anordnung die Reformation durchgeführt worden war. Die Folgen dieses Konfessionswechsels hatten nicht zuletzt auch das im katholischen Herzogtum Bayern gelegene und somit „ausländische“ Stift Prüfening nachhaltig getroffen. Teils auf Grund von Schenkungen, teils durch seine hauptsächlich im 12. und 13. Jahrhundert geleistete Kulturarbeit verfügte es zwar über eine ausgedehnte Grundherrschaft auf dem Tangrintel, welche auch das Hemauer Stadtgebiet umfasste. Die tatsächlichen Erträge aus den damit verbundenen Zehnten, Zinsen und Gülten dürften sich aber in bescheidenen Grenzen bewegt haben, seitdem die protestantischen Landesherren nicht mehr ihre schützenden Hände über die Mönche hielten. Erst als im Mai 1614 der Neuburger Erbprinz Wolfgang Wilhelm (1578-1653) öffentlich zur katholischen Lehre konvertierte, konnte das Kloster wieder auf bessere Zeiten hoffen. Und tatsächlich ging der neue Landesherr unmittelbar nach seinem Regierungsantritt im Januar 1616 an die Durchführung der Gegenreformation, die der bereits zitierten Müller´schen Chronik zufolge spätestens im Juni 1617 auch in Hemau Einzug hielt. Abt Johannes Stadler scheint diese Entwicklung vorhergesehen zu haben. Seine Absicht war es ganz offensichtlich, mit dem Neubau eines repräsentativen Getreidekastens frühzeitig ein deutliches Zeichen zu setzen, um in dieser Umbruchsphase mit aller Entschiedenheit die alten Prüfeninger Rechte in Erinnerung zu rufen. Der jetzt wieder in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlte Zehentstadel ist demnach auch und vor allem ein steinernes Instrument der Gegenreformation!

Da der inzwischen in die Jahre gekommene und vielleicht auch schadhaft gewordene frühere Kornspeicher des Klosters an der Ecke Propsteigaßl/Riedenburger Straße (heute: Riedenburger Straße 20) für die propagandistischen Zwecke des Prüfeninger Abtes ganz offensichtlich zu unscheinbar war, wurde er übrigens bald nach der Fertigstellung des neuen Lagerhauses an den damaligen Hemauer Pflegsverwalter und Gerichtsschreiber Johann Mulzer verkauft. Dieser war vielleicht ein naher Verwandter des oben erwähnten Prüfeninger Propstes. Dem Kastenknecht des Klosters hingegen, dem die Aufsicht über den Zehentstadel und die darin abzuliefernden Gefälle oblag, wurde nunmehr das unmittelbar neben dem neuen Getreidespeicher gelegene Haus als Wohnung zugewiesen. Heute steht an dieser Stelle der moderne Funktionsanbau. Die jahrhundertealte enge Verbindung zwischen dem Zehentstadel und seinem Nachbargebäude lebt also im gegenwärtigen Kulturzentrum wieder auf.

Detail aus dem Ortsblatt der im Jahre 1830 durchgeführten Uraufnahme der Stadt Hemau, graviert 1832
(Nr. 79: Alter Getreidekasten;
Nr. 83: Propsteigebäude;
Nr. 84: Neuer Getreidekasten/Zehentstadel;
Nr. 85: Haus des Kastenknechts).